Anmerkungen zu Begriff und Praxis der

Meditation

von Dr.Christian Fuchs

Ich zitiere im folgenden - auszugsweise - aus einem Artikel zum Stichwort "Meditation", den ich für ein kulturwissenschaftliches Lexikon verfaßt habe. Siehe dazu:

"Metzler Lexikon Religion (Gegenwart - Alltag - Medien)", herausgegeben von C.Auffarth, J.Bernard u. H.Mohr), Band 2, Metzler-Verlag, Stuttgart 1999, S.407-411.
 
 

 
 

1. Der Begriff Meditation ist heute im westlichen Sprachgebrauch weit verbreitet. Seine Bedeutung und Interpretation variieren stark. Allgemein wird darunter ein vertiefter Zustand geistiger Sammlung verstanden, der sich vom normalen Alltagsbewußtsein des Menschen unterscheidet. Oft schließt der Begriff Meditation auch die Techniken zur Erlangung dieses besonderen Geisteszustandes ein. Meditation ist dann also beides: der Weg und das Ziel einer konkreten geistigen Praxis.

  

2. Grundsätzlich lassen sich in der westlichen Moderne zwei verschiedene Zuordnungen des Begriffes Meditation unterscheiden: eine religiöse und eine nicht-religiöse. Letztere bezieht sich in der Regel auf den alltäglichen Sprachgebrauch des Wortes und meint ein vertieftes "Nachdenken" über etwas ...

  

3. Neben diesem profanen Verständnis finden wir in vielen Kulturen und in den sogenannten Weltreligionen (Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus) eine andere Auffassung von Meditation, die der Duden mit "religiöser Versenkung" wiedergibt ...

 

4. ... Innerhalb des sogenannten Hinduismus trug die Entwicklung und Ausgestaltung des Yoga entscheidend zur Etablierung der Meditation im indischen Kulturkreis bei. Der indische Yoga kann als mystisches System par excellence beschrieben werden. Die Mystik des Yoga hat ihre historischen Wurzeln bereits in vedischer Zeit (ca. 1500 - 1000 vC). Im "Keshin-Hymnus" des Rig-Veda (Rig-Veda X,136) begegnen wir einem der ältesten literarischen Zeugnisse für meditative Praktiken des Menschen. Dort werden die Keshins, die einige Forscher für eine Art Vorläufer der Yogins ("Proto-Yogins") halten, mit den Worten zitiert: "Verrückt vor Askese haben wir den Luftraum bestiegen. Unsere Körper sind alles, was ihr Sterblichen sehen könnt." ...

Hier finden wir also bereits die für die Herbeiführung meditativer Zustände typischen Atempraktiken. Allerdings gibt es zwischen diesen möglichen Vorformen yogischer Meditation und der Ausformung der Meditationstechniken im klassischen Yoga einen wesentlichen Unterschied: Während die frühen Praktiken der Keshins ganz offensichtlich einen ekstatischen Zustand zum Ziel hatten, können die meditativen Techniken des klassischen Yoga mit dem Yoga-Forscher Mircea Eliade als Form der "Enstase" bezeichnet werden. Zielen erstere also auf einen entrückten Zustand des "Außer-Sich-Seins", so streben letztere bewußt einen Zustand des totalen "Bei-Sich-Selbst-Seins" an.

Im sogenannten klassischen Yoga nimmt die Meditation eine zentrale Stellung ein. Das Yoga-System des Patañjali, das um die Zeitenwende entstand, kennt einen "achtgliedrigen Übungsweg" (= ashtanga-yoga), in dem die "Meditation" (= dhyana) das siebente Glied bildet. Sie wird durch die Verwirklichung ethischer Prinzipien, durch dezidierte Übungen zur Körper- und Atemschulung, durch ein Zurückziehen und Nach-Innen-Nehmen der Sinne und durch Techniken der Konzentration intensiv vorbereitet. Meditation im Sinne Patañjalis bedeutet dann die Schulung der Fähigkeit des "reinen Schauens". ...